Arnold Bode Vektorgrafik nach einem Bild von Floris M. Neusüss
Man hat Arnold Bode eine „Jahrhundertfigur“ genannt, herausragende Persönlichkeiten einer Epoche werden so gewürdigt. Bode hat auch noch ein Geburtsdatum, das passt: Er kommt im Jahr 1900, am 23. Dezember, zur Welt, genauer gesagt – in Kassel. Arnolds Eltern kamen aus einem Dorf in Thüringen nahe Bad Sooden-Allendorf. Der Vater war Zimmermann, machte sich selbständig und gründete einen Zimmereibetrieb in der Fiedlerstrasse. Arnold, der Erstgeborene, hatte drei Brüder. Paul und Theo wurden Architekten. Paul hat das Staatstheater am Friedrichsplatz entworfen. Egon, der jüngste Bruder, übernahm die Zimmerei. Heute führt sein Sohn Stephan mit der Bode Holzbau GmbH in Kaufungen die Familientradition fort.
Arnold, der sich schon mit vierzehn in Rembrandts berühmten „Jakobssegen“ in der Kasseler Gemäldegalerie verguckte (wohl das schönste Gemälde dort) und daheim mit expressionistischem Farbanstrich der Küchenmöbel die Mutter ‚erfreute’, studierte nach dem Abitur an der Kasseler Kunstakademie. Bode wurde Maler, fand aber schnell auch Interesse an anderen künstlerischen Aufgaben, z.B. als Innenarchitekt oder Ausstellungsmacher (wie auch als Ausstatter von großen Faschingsfesten!). Bild und Raum, das waren seine Gestaltungsbereiche, sie forderten ihn zu immer neuen Einfällen und Lösungen in Form und Farbe heraus. Bildern einen ihnen angemessenen Raum zu schaffen und Räume gleichsam als begehbare Bilder erleben zu lassen, diese Ziele verfolgte er mit Leidenschaft. In den documenta-Ausstellungen konnte er endlich seine Ziele so umfassend verwirklichen, wie er sich das vorgestellt hatte. Die documenta-Ausstellungen unter Bodes alleiniger Regie finden 1955, 1959, 1964 und 1968 statt. Sie werden zu Höhepunkten seiner gestalterischen Karriere. Zwei große Projekte indes bleiben unverwirklicht: die „documenta urbana“ (Kunst, Architektur und Stadt im Zusammenspiel) und das „Oktogon Projekt“ (documenta im Herkules). Bode stirbt am 3. Oktober 1977, einen Tag nach dem Ende der 6. documenta.
Mit ihrer atemberaubenden Inszenierung der Kunstwerke setzte die erste documenta weltweit beachtete Maßstäbe, sie schaffte neuartige Erlebnisräume von suggestiver Wirkung. Dieser ästhetische Mehrwert hebt sie über die damals üblichen Präsentationsformen von Kunst hinaus und wird zu einem Alleinstellungsmerkmal, wie wir heute sagen würden.
Schon die erste documenta 1955 zeigte Bode auch als Meister im „multi-tasking“: Bode war nicht nur mitverantwortlich für das Konzept und die Auswahl der Künstler und allein verantwortlich für die Ausstellungsarchitektur, für die Hängung der Bilder und Aufstellung der Skulpturen, er entwarf auch das stilistisch übereinstimmende und dadurch sich einprägende Erscheinungsbild. Dazu gehörten das Logo und alle Drucksachen wie Katalog, Plakate, Aufsteller, Einladungen bis hin zur Speisekarte. Er sorgte also für das, was wir heute eine „corporate identity“ nennen.
Ein Prinzip, das bis in die Gegenwart mit zum Erfolg der documenta beiträgt. Eine Schule, zu deren Ausbildungsprogramm Gestaltung in vielfältiger Hinsicht gehört, hat sich deshalb mit Arnold Bode einen wirklich sachverwandten Namensgeber und und sich dadurch ein einprägendes Vorbild gewählt.
Bode: ein deutsches Schicksal im 20. Jahrhundert. Erste Erfolge und Preise als Künstler, 1930 Berufung als Kunstdozent nach Berlin. Doch 1933 dann die brutale Zäsur: Am 1. Mai Rauswurf durch die Nazis. Berufsverbot. Politisch zu links, künstlerisch zu modern. Innere Emigration in Kassel. Soldat in Frankreich. Überlebt den Krieg und wird bereits1945 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen. Glück gehabt. Aber zwölf verlorene Jahre (die besten) – und nun wohin? Was tun? Er kehrt zurück nach Kassel, die Stadt „meines Lebens“. Will „beim Wiederaufbau helfen“. Initiiert die Neugründung der Kunsthochschule, wird Professor für Malerei, organisiert Kunstausstellungen, gestaltet öffentliche Innenräume, Geschäfte, Wohnungen, entwirft Möbel, wird gefragter Gestalter von Messebauten … und träumt – träumt einen „großen Traum“. Schon 1946 finden wir von ihm notiert den Tagesordnungspunkt: „Große Internationale Ausstellung“. Die Idee der documenta ist geboren. Allerdings müssen noch fast zehn Jahre vergehen …
Bereits die erste documenta war ein großer Erfolg, doch heute, wo die documenta auch für den letzten Kasselaner ein „hype“ ist und der Besuch ein „must“, ist es kaum noch nachvollziehbar, dass Bode nicht nur vor der ersten, sondern auch jedes weitere Mal aufs Neue um die nächste, für die nächste documenta kämpfen musste. Jedes Mal musste er mühsam wieder und wieder schwerfällige Politiker und zurückhaltende Geldgeber von seinen Plänen überzeugen, unter aufreibenden Einsatz all seiner Möglichkeiten und Mittel. Aber er war ein Dickbrettbohrer – und ein Menschenfänger, fand immer wieder „Mittäter“ und Förderer, denn er konnte begeistern, weil er selbst von seiner Sache – von der „nächsten documenta“ – begeistert war. Man darf heute auch nicht vergessen, dass die moderne Kunst damals in der Nachkriegszeit von der breiten Öffentlichkeit weitgehend abgelehnt wurde. Die Nazi-Parole „Entartete Kunst“ spukte noch immer in den Köpfen. Bode und seine documenta-Freunde aber setzten auf die Jugend, ihr war nicht nur die erste documenta gewidmet. Ich selbst bin damals als Sechzehnjähriger von dem documenta-Virus angesteckt worden. Für mich war Arnold Bode ein „hero“, gespannt verfolgte ich die Nachrichten über sein mutiges, weder Bürokraten noch Banausen fürchtendes Engagement für die moderne Kunst. Eine Kunst, die ich, wie ich dann bei meinem ersten documenta-Besuch erfahren musste, nicht so ganz, wenn überhaupt, verstand. Aber die Atmosphäre nahm mich ungemein gefangen, jedenfalls fand ich die documenta „ganz doll“ (Kalendernotiz), und ich spürte: Das ist mein Leben! Und ist es immer noch.
So wünsche ich allen in und an der Arnold-Bode-Schule Tätigen, dass auch sie von der schöpferischen Unruhe ihres neuen Namenspatrons infiziert werden und viele, viele produktive Impulse dadurch empfangen.
Prof. Heiner Georgsdorf (Schüler von Arnold Bode)