Es war eisig kalt, als sich am Morgen des 9. Dezembers 1941 eine große Gruppe, bestehend aus 1034 Männern, Frauen und Kindern, von der Schillerstraße aus auf den Weg zum Kasseler Hauptbahnhof machte. Die vorherige Nacht hatten alle zwangsweise in beiden Turnhallen der Bürgerschulen 1 und 2 an der Schillerstraße verbracht, auf deren Gelände sich heute die Arnold-Bode-Schule befindet. Am Gleis 13 wartete schon der Güterzug, welcher die Menschen in das Getto nach Riga bringen sollte. Für fast alle von ihnen wurde es eine Reise ohne Wiederkehr.
Um ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen, wurde nun 80 Jahre später am Ort des damaligen Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an die zurückliegenden Ereignisse erinnert. Viele Menschen waren auf dem Schulhof der Arnold-Bode-Schule zusammengekommen, um gemeinsam mehr über die Geschichte und das Heute zu erfahren, oder darüber zu berichten.
In ihrer Rede sprach Eva Schulz-Jander, Ehrenbürgerin von Kassel und Holocaust-Zeitzeugin, aus erster Hand über ihre Erlebnisse aus der damaligen Zeit, indem sie eindrücklich den Klang der schweren Schritte beschrieb, welche nicht vor der elterlichen Wohnungstür stoppten, sondern sich unter dem Geräusch zersplitternden Glases einen Weg ins Innere bahnten – und das nicht nur einmal; zurück blieben jedes Mal Scherben und Verzweiflung. „Es ist nicht das, was ihr erlebt habt, aber es ist geschehen, es ist Eure Geschichte, und ihr müsst daran erinnern!“ gab sie den Anwesenden mit auf den Weg (die vollständige Rede ist hier nachzulesen).
Auch Elena Padva vom Sara-Nussbaum-Zentrum für jüdisches Leben richtete das Wort an die Anwesenden, indem Sie alle ermutigte, einen eigenen Zugang zu und einen Umgang mit den damaligen Ereignissen zu finden.
Der Schulleiter Udo Hauser betonte den Wert einer nachhaltigen Erinnerungskultur, welche am Pavillon der ABS in Form eines stetig wachsenden Betonfrieses realisiert werde. Die ersten vier Platten, die jetzt den Anfang machen, wurden während der Feierlichkeiten von Kollegen Thomas Hofer und den beteiligten Lernenden enthüllt. Nach der Fertigstellung durch die zukünftigen Jahrgänge soll es dann in Form eines vollständigen Umlaufs an die Geschichte erinnern.
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch eine Inszenierung von Kollegin Andrea Wolf zum Thema „Gewalt durch Sprache“, dargeboten von Schülerinnen und Schülern der FOS- und GMTA-Klassen, einer von Kollegin Nina Bültemeier und Ihren Klassen organisierten Ausstellung über Antisemitismus unter den Arkaden, sowie Musik der Bode-Brass-Band, welche traditionelle jüdische Weisen spielte.
Die Gedenkveranstaltung erzeugte auch ein breites Medienecho, welches sich sowohl in der HNA als auch in einem Beitrag in der Hessenschau vom 09.12.2021 beim Hessischen Rundfunkt wiederfand.
Am Ende der Festlichkeiten, die wegen den Corona-Regeln unter freiem Himmel stattfanden, waren alle Anwesenden ein wenig durchgefroren – doch war dies nichts im Vergleich zu der Kälte, welche vor 80 Jahren die Welt fest in ihrem Griff hatte.
(Bilder: Stölzel, Gürich; Text: Gürich)